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Rechtssprechung 2019-08-29T22:02:30+02:00

Rechtsprechung zur Dokumentation im Krankenhaus & ähnliche

BGH, Urteil vom 21.09.1982; NJW 83, 333

Leitsatz:
2. Im Arzthaftungsprozeß kann eine Beweislastumkehr (zu Gunsten des Patienten – Anmerkung d. Verf.) für den Kausalitätsnachweis nach den Grundsätzen, die bei groben Behandlungsfehlern dazu entwickelt worden sind, auch dann in Betracht kommen, wenn der Arzt in erheblichem Ausmaß Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen nicht erhoben hat und deshalb in besonderem Maß dafür verantwortlich ist, dass die Daten zur Aufdeckung des Behandlungsverlaufs nicht zur Verfügung stehen.

Sachverhalt:
Die Patientin wurde mit kolikartigen Bauchschmerzen über den Hausarzt in ein Krankenhaus eingewiesen. Die dort behandelnde Ärztin diagnostizierte eine akute Blinddarmentzündung und operierte die Patientin. Der Blinddarm soll stark entzündet gewesen sein. Es wurden vor der OP weder ein Blutbild noch eine Urinuntersuchung, entgegen der dann im Krankenhausbericht geschilderten Krankenhausgeschichte, veranlasst.
Eine Urinuntersuchung am Folgetag ergab u. a. folgenden Befund:“…massenhaft Bakterien, zahlreiche Epithelen, Leukozyten und Erythrozyten.“ Es kam anschließend zu Koterbrechen. Die Ärztin veranlasste die Gabe einer Injektion worauf sich der Zustand der Patientin auch noch gebessert haben soll. Es wurde weder ein EKG veranlasst noch Kontrollbefunde, wie Bestimmung des Blutdrucks, des Venendrucks, der Elektrolyte, erhoben.
Kurz darauf erlitt die Patientin einen Kreislaufzusammenbruch und verstarb am folgenden Tag, ohne dass zu diesem Zeitpunkt o. g. Kontrollbefunde veranlasst wurden. Die behandelnde Ärztin gab als Todesursache „akute Herz- und Kreislaufschwäche“ an sowie „Nierenentzündung und Verdacht auf Lungenembolie“.
Das LG und das OLG haben der Klage der Erben der Patientin auf Schadenersatz nicht stattgegeben. Der BGH hob die Urteile auf und verwies zurück.

Denn:
Das Geschehen nach Auftreten des Kreislaufkollapses für sich allein gesehen, enthält massive Diagnose- und Kontrollversäumnisse. Einfachste Untersuchungen wurden unterlassen. Hier zieht der BGH Parallelen zu Dokumentationsversäumnissen. Diese Versäumnisse haben im Nachhinein die Beurteilung auch für die Sachverständigen erschwert.
Es ist nicht mehr ermittelbar, ob die Überlebenschancen durch die grob fehlerhafte Behandlung der Patientin verschlechtert worden waren oder nicht.

Weiterhin enthält die Krankengeschichte gravierende Versäumnisse, grobe Unrichtigkeiten und Beschönigungen. Solange hier die Unsicherheiten nicht ausgeräumt werden können, ist die Frage der Beweiserleichterung (zu Gunsten der Kläger) auch auf diese Mängel der Behandlung zu erstrecken. (Der BGH klassifiziert damit die Dokumentation als Teil der Behandlung; zur Behandlung gehörig = Anmerkung der Verf.).

Die Dokumentationspflicht ist Rechenschaftspflicht. Sie dient der Information des Dokumentierenden und des Nachbehandlers. Sie soll gerade die Nachvollziehbarkeit des Geschehens sicherstellen.

BGH, Urteil vom 24.01.1989; NJW 89, 2330

Sachverhalt:
Die Klägerin zog sich einen Bruch des rechten Oberarmknochenschafts zu. Der Beklagte versorgte den Bruch operativ. Er nahm eine offene Reposition und eine Verschraubung und Verplattung vor. Bei der Entfernung kam es zur Schädigung des nervus radialis. Der Nerv wurde während der Operation nicht dargestellt. Gründe dafür wurden im OP – Bericht nicht benannt.
Die Klägerin leidet seit dem an einer sog. „Fallhand“. Sie verlangt Schadenersatz. Dem hat das OLG stattgegeben (wegen der Annahme von Beweiserleichterungen). Der BGH hat das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen.

Denn:
Der Operateur hätte im OP – Bericht eine vorgenommene Freipräparierung und Darstellung als bedeutsamen OP – Schritt erwähnen müssen, wenn er sie durchgeführt hätte. Zugunsten des Patienten sind Beweiserleichterungen anzunehmen, wenn die gebotene ärztliche Dokumentation lückenhaft bzw. unzulänglich ist und deswegen dem Patienten die Aufklärung des Sachverhaltes unzumutbar erschwert wird (= folgt aus dem Persönlichkeitsrechts Art. 2 GG i.V.m.Art.1 GG; Anmerkung der Verf.).

Die Freipräparierung wurde vorliegend jedoch gar nicht vorgenommen. Gründe, die für einen Verzicht auf diesen Schritt vorgelegen haben, waren auch nicht aufzuzeichnen, da hier gerade kein Abweichen von einer sonst medizinisch üblichen Technik vorgelegen hat (laut Sachverständigen). Dokumentationsmängel, die zu Beweiserleichterung führen könnten, können hier dem Beklagten deshalb nicht vorgeworfen werden.

BGH, Urteil vom 06.12.1988; NJW 89, 764

Leitsatz:
Erstrebt der Patient über die Kenntnis objektiver Befunde hinaus Einsicht in die Krankenunterlagen über seine psychiatrische Behandlung, so sind entgegenstehende therapeutische Gründe vom Arzt nach Art und Richtung näher zu kennzeichnen.

Sachverhalt:
Der Kläger war in psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus. Er verlangte die Überlassung lesbarer Kopien seiner Krankenakte. Wegen der Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes weigerte sich der beklagte Arzt gegenüber dem Kläger, die Kopien herauszugeben.
Der Kläger konnte mit seiner Klage nicht durchdringen.

Denn:
Der Kläger hat zwar grundsätzlich als Ausfluß seines Rechts auf Selbstbestimmung und personaler Würde Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen, ohne dafür ein besonderes rechtliches Interesse darlegen zu müssen. Dieses Recht muß aber gegenüber dem psychiatrischen Patienten erheblich eingeschränkt werden. Hier besteht kein Recht auf volle Einsichtnahme in die Krankenunterlagen.

Der Grund hierfür liegt in der Natur des psychiatrischen Behandlungsverhältnisses, das u. a. im Interesse des Arztes und zum eigenen Schutz des Patienten eingeschränkt werden muß. Hier sind allein therapeutische Bedenken ausreichend. Diese sind konkret darzulegen.

Es steht der sich auf dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gründende Informationsanspruch in einem Spannungsverhältnis zu der aus der gleichen Wurzel entstammenden Pflicht des Arztes, dem Patienten Hilfe zu leisten. Die Entscheidung darüber obliegt dem Arzt.

BGH, Urteil Vom 28.06.1988; VersR 89, 80

Leitsatz: 
1. Aus Dokumentationsversäumnissen des Arztes kann eine Beweiserleichterung für den Patienten zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Behandlungsmaßnahme und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden unmittelbar nicht hergeleitet werden.

2. Mängel in der Befunderhebung und –sicherung vermögen Beweiserleichterungen für die Kausalität nur dann zu begründen, wenn sie die Aufklärung eines immerhin wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden erschweren.

Sachverhalt:
Der Kläger wurde durch Kaiserschnitt entbunden. Der Geburtsvorgang wurde nicht hinreichend konkret dokumentiert. Er leidet an einer hirnorganischen Schädigung, die er auf eine zu späte Durchführung der Schnittentbindung zurück führte. Die Ursächlichkeit zwischen dem Behandlungsfehler und der hirnorganischen Schädigung war jedoch streitig. Der Kläger verlangte Schmerzensgeld.
In der Revision hatte der Kläger keinen Erfolg.

Denn: 
Der Patient hat den Beweis für den Behandlungsfehler und den Ursachenzusammenhang (der Kausalität) zwischen diesem Fehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu führen.

Aus Versäumnissen bei der Dokumentation des Geburtsvorganges kann eine Einstandspflicht der Beklagten (Ärzte) für den Gesundheitsschaden nicht hergeleitet werden.

Ein Dokumentationsmangel kann nur dazu führen, dass dem Patienten zum Ausgleich der hierdurch eingetretenen Erschwernisse, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt, um auch für die Prozessführung eine gerechte Rollenverteilung im Arzt – Patienten – Verhältnis zu schaffen. D. h. es wird vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme auch nicht durchgeführt wurde.

Der Dokumentationsmangel führt aber nicht dazu, dass dem Patienten Beweiserleichterungen auch in der Frage der Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden zugute kommen. Dies wiederum wird nur dann angenommen, wenn ein schwerer / grober Behandlungsfehler hinzutritt.

BVerfG, Beschluß vom 08.03.1972; NJW 72, 1123

Es geht um die Zulässigkeit der Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte, die Aufzeichnungen über den in einem Strafverfahren beschuldigten Patienten enthält.

Grundsätzlich unterliegt der Arzt nicht nur nach seinem Standesrecht sondern auch nach dem Strafrecht einer Schweigepflicht gem. § 203 StGB. Der Arzt hat auch ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 53 StPO.

Danach können ärztliche Dokumentationen i. d. R. nicht durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden. Dem steht das Grundrecht des Patienten aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG (= Schutz der Privatsphäre sowie freie Entfaltung der Persönlichkeit) gegenüber. Hier wird ein unantasbarer Bereich der privaten Lebensgestaltung gewährt. Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und kann erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt.

Es sind allerdings staatliche Maßnahmen hinnehmbar, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit getroffen werden. So zum Beispiel muß der Arzt, um bösartige Ansteckungskrankheiten oder epidemisch auftretende Leiden zu verhindern, Meldung an die öffentlichen Gesundheitsämter machen. (z. B. nach dem Bundesseuchengesetz).
Dies ist auch bei Hieb-, Stich- und Schussverletzungen der Fall. Hier geht es um die Aufrechterhaltung der wirksamen Strafrechtspflege.
Hier hat allerdings eine Abwägung i. S. der Verhältnismäßigkeit stattzufinden.

BGH, Urteil vom 07.05.1985; NJW 85, 2193

Leitsatz:
2. Ein Berufsanfänger hat den Gang der von ihm selbständig durchgeführten Operation auch bei sog. Routineeingriffen in den wesentlichen Punkten zu dokumentieren.

Sachverhalt:
Die Klägerin unterzog sich einer Lymphknoten – Extirpation an der linken Halsseite. Die OP wurde mittels Lokalanästhesie durchgeführt. Der alleinige Operateur befand sich seit 3 Monaten in der Weiterbildung zum HNO – Facharzt. Als Folge der OP leidet die Klägerin an der Beeinträchtigung der linken Schulter, da der nervus accessorius in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz. In den ersten beiden Instanzen wurde die Klage abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Denn:
Die Übertragung einer selbständig auszuführenden Operation an einen dafür noch nicht ausreichend qualifizierten Assistenzarzt stellt einen Behandlungsfehler dar, der Schadensersatzansprüche nach sich zieht.

Beweiserleichterungen kommen der Klägerin zudem dadurch zu, dass kein Operationsbericht erstellt wurde. Es mag für einen von einem erfahrenen Chirurgen in Lokalanästhesie durchgeführten kleinen Routineeingriff genügen, dass nur die Art, die Tatsache der Durchführung und die Namen der Beteiligten an der Operation dokumentiert werden. Das kann aber nicht in gleicher Weise für einen Berufsanfänger gelten, da hier nicht sicher ist, dass er von vornherein die medizinisch richtige und übliche Operationstechnik anwendet.
– Verlassen der Einrichtung gegen ärztlichen Rat

BGH, Urteil vom 19.05.1987; NJW 87, 2300

Sachverhalt:
Der Kläger war stationär wegen einer Coronar – Angiographie aufgenommen worden. Im rechten Arm entwickelte sich dabei eine Thrombose. Der Puls war aufgrund dessen nur noch schwach zu tasten. Der Kläger verließ, ohne das Maßnahmen zur Thrombosebehandlung getroffen wurden, das Krankenhaus. Wegen starker Schmerzen begab er sich einige Tage später wieder in das Krankenhaus. Es wurde eine Thrombektomie, ohne Erfolg, durchgeführt. Gegen den ärztlichen Rat verließ er nach einigen Tagen wiederum das Krankenhaus.
In einem Universitätsklinikum, in das sich der Kläger später begab, mußte ihm als Folge der Thrombose die Hand amputiert werden.
Der Kläger verlangt Schadensersatz.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat der Klage stattgegeben. Die Revision der beklagten Ärzte führte zur Aufhebung.

Denn:
Der Kläger hat die erforderliche Behandlung schuldhaft selbst versäumt, indem er die Einrichtung das erste Mal verließ. Die Ärzte hatten erfolgreich dargelegt, dass auch nach dem Zeitpunkt des Verlassens noch erfolgreich Maßnahmen möglich gewesen wären. Dies hatte das OLG nicht berücksichtigt, was rechtsfehlerhaft war. Deshalb wurde das OLG Urteil wieder aufgehoben.

Allerdings konnten die Beklagten nicht beweisen, dass der Kläger das erste Mal die Einrichtung gegen ärztlichen Rat verlassen habe, da dies in der Dokumentation so nicht festgehalten war. Es war dort weder festgehalten, dass das Verlassen gegen ärztlichen Rat geschah, noch dass der Kläger auf die Risiken des Behandlungsabbruchs hingewiesen worden sei. Aufgrund dessen wurde auch nicht das für die Einrichtung günstige erstinstanzliche LG – Urteil wieder hergestellt.

( Anmerkung der Verf.:
Das heißt das OLG hat nunmehr weiter die Tatsachen festzustellen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Können die Ärzte und die Einrichtung nicht beweisen – z. B. auch durch Zeugenaussagen des Pflegepersonals -, dass das Verlassen gegen ärztlichen Rat geschehen ist, ist die Frage eines hierdurch eventuell begründeten Aufklärungsverschuldens durch Nichterteilung des ärztlichen Rates zu prüfen. )

( Siehe hierzu auch Seite 17: Im Gegensatz zur vorliegenden Entscheidung konnten die Ärzte und die Einrichtung dort die nicht dokumentierten Umstände aber beweisen.)

– Was nicht dokumentiert wird, ist grundsätzlich auch nicht durchgeführt worden.

BGH, Urteil vom 10.03.1981; NJW 81, 2002

Leitsatz:
1. Den Arzt trifft grundsätzlich die Beweislast dafür, dass er einen vereinbarten operativen Eingriff überhaupt vorgenommen hat.

Sachverhalt:
Die klagenden Eheleute fordern Schadenersatz (Unterhalt) und Schmerzensgeld (Schwangerschaft und schmerzhafter Geburtsvorgang), weil die Ehefrau trotz einer zum Zwecke der Unfruchtbarmachung durchgeführten Tubenligatur ein weiteres Kind gebar. Die Kläger behaupten, der Sterilisationseingriff sei fehlerhaft durchgeführt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Denn:
Den Klägern obliegt hier nicht der volle Nachweis eines Behandlungsfehlers. Das gilt nämlich insoweit nicht, als dass die Kläger gänzlich bestreiten, dass die Sterilisation überhaupt vorgenommen wurde.

Dem Arzt obliegt es hier, zu beweisen, dass er diesen Eingriff auch durchgeführt hat. Davon ist in den Erstinstanzen fälschlicherweise einfach ausgegangen worden. Hierfür kann und müsste der Arzt den detaillierten Operationsbericht heranziehen, dem im Zweifel dann auch vertraut werden kann.

OLG Köln, Urteil vom 25.02.1998; VersR 98, 1026

Leitsatz:
2. Die vor einer Injektion durchzuführende Desinfektion der Haut ist als (selbstverständliche) Routinemaßnahme nicht dokumentationspflichtig.

Sachverhalt:
Die Klägerin entwickelte nach einer Injektion einen Spritzenabszeß.
Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Denn:
Die Klägerin trägt die Beweislast dafür, dass dem beklagten Arzt ein Behandlungsfehler infolge mangelnder Desinfektion vor Durchführung der Injektion unterlaufen ist. (Die nicht durchgeführte Desinfektion würde einen Behandlungsfehler darstellen)

Das Unterlassen der Desinfektion kann nicht schon deshalb angenommen werden, weil sie nicht dokumentiert wurde. Bei der vor einer Injektion durchzuführenden Desinfektion der Haut handelt es sich um eine sich von selbst verstehende Routinemaßnahme, die als solcher keiner besonderen Dokumentation bedarf.

Aufgrund dessen kommt der Klägerin hier keine Beweiserleichterung zu.

BGH, Urteil vom 14.02.1995; VersR 95, 706

Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer bei seiner Geburt (1976) erlittenen Hirnschädigung auf Schadensersatz in Anspruch. Er wird Zeit seines Lebens ein Pflegefall bleiben.

Die Mutter des Klägers erlitt kurz vor der Geburt mehrere eklamtische Krampfanfälle. Der Kläger wurde mit Hilfe einer Saugglocke in asphyktischem Zustand entbunden. Er musste beatmet werden.
Der Kläger warf dem Beklagten vor, dass dieser durch regelmäßige Blutdruckmessungen die Gefahr der eklamtischen Krampfanfälle erkannt hätte. Diese seien jedoch vom Beklagten nicht durchgeführt worden.
Der Kläger hatte mit seiner Klage gegen den Arzt Erfolg.

Denn: 
Bei gebotener Überwachung der Mutter, vor allem durch wiederholte Blutdruckkontrollen, hätte die Gefahr der eklamtischen Krampfanfälle mit großer Wahrscheinlichkeit rechtzeitig erkannt und durch medikamentöse Behandlung abgewendet werden können. Die Nichterhebung von Vitalparametern in der Entbindungsphase stellt bei den hier gegebenen Umständen ein schweres Versäumnis dar.

Da keine Blutdruckmessungen dokumentiert sind, müsse zu Lasten des beklagten Arztes angenommen werden, dass diese nicht durchgeführt wurden (=Beweiserleichterung zugunsten des Klägers). Wegen der Wichtigkeit dieses Vitalparameters im Entbindungsstadium war es aus medizinischer Sicht geboten, die Blutdruckwerte auch dann zu dokumentieren, wenn hier ein Normalwert vorgelegen hätte. (Hierin liegt auch kein Abweichen von dem rechtlichen Grundsatz: Eine Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, ist rechtlich auch nicht geboten.) 1976 entsprach die Dokumentation auch normaler Blutdruckwerte in einem solchen Fall dem medizinischen Standart.

Die Aussagen anderer Ärzte und des Beklagten zu der fraglichen Blutdruckkontrolle überzeugten das Gericht nicht.

Das Unterlassen der Blutdruckkontrollen (die vermutet wurden) war als grober Behandlungsfehler zu werten, so dass es bezüglich der Ursächlichkeit zwischen dem Behandlungsfehler (= Unterlassen der Blutdruckkontrollen) und dem eingetretenen Hirnschaden zur Beweislastumkehr zugunsten des Klägers kam. D. h. dem Beklagten oblag es, den Gegenbeweis zu führen. Dies gelang ihm nicht.

OLG Schleswig, Urteil vom 08.06.2001; VersR 2001, 1516

Leitsatz:
1. Behauptet der Arzt, die notwendige Behandlung des Patienten sei wegen dessen Weigerung unterblieben, trägt er hierfür die Beweislast.

2. Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten, der die notwendige Behandlung verweigert, auf mögliche, für den Laien nicht ohne weiteres erkennbare, Gefahren der Nichtbehandlung hinzuweisen. Über allgemein bekannte, dem Patienten drohende Verläufe (hier: die Ausbreitung des krankhaften Zustandes ), braucht er dabei nicht aufzuklären.

Sachverhalt:
Die Klägerin hatte sich eine Verletzung am linken Zeigefinger zugezogen. Zunächst sollte die Wunde gekühlt und mit Antibiotika behandelt werden. Die Wunde wurde geröntgt und es wurde ein Hautschnitt durchgeführt. Anschließend wurde sie einige Tage später in einer chirurgischen Abteilung operiert.
Wegen behaupteter Dauerschäden, die auf der zu spät durchgeführten Operation beruhen sollen, macht sie Schadensersatz geltend. Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.

Denn:
Ein Behandlungsfehler ließ sich nicht nachweisen. Der Klägerin wurde durch den Beklagten die dann später durchgeführte OP mehrmals eindringlich empfohlen. Die Klägerin verweigerte die OP.

Dies wurde jedoch nicht dokumentiert.

Aufgrund einer umfassenden Beweiserhebung und –würdigung konnte diese Lücke jedoch geschlossen werden. Der Arzt konnte trotzdem beweisen, dass er ausgedehnte Gespräche mit der Klägerin geführt hatte und auf ein ambulantes Operieren hinzusteuern versucht hatte.

Der Beklagte war auch nicht verpflichtet gewesen, über allgemein bekannte Krankheitsverläufe, die im Fall der Nichtdurchführung gebotener ärztlicher Behandlung zu erwarten stehen, aufzuklären. Eine sich auf der Hand ausbreitende Entzündung drängt sich selbst für den Laien auf.

BGH, Urteil vom 24.01.1984; VersR 84, 386

Sachverhalt:
Die Klägerin wurde im Jahr 1973 wegen eines Bandscheibenvorfalles in der sog. Knie- Ellenbogenlage („Häschenstellung“) operiert. Unmittelbar nach der Operation stellten die Ärzte eine Plexusparese fest, die zu einer Lähmung beider Arme führte. Die Klägerin begehrte Schadensersatz mit der Behauptung, die Lähmung ihrer Arme sei infolge einer von den operierenden Ärzten schuldhaft falsch vorgenommenen Lagerung während der Operation verursacht worden.

Die Dokumentation der Lagerung der Klägerin war mangelhaft und schlecht lesbar. Es fehlten erforderliche Angaben über die gewählte Lage der Klägerin auf dem OP – Tisch. Es stand allerdings fest, dass die Klägerin von einem erfahrenen Pfleger auf dem OP – Tisch in die entsprechende Position gebracht wurde. Zudem wurde von den als Zeugen vernommenen Ärzten bekundet, dass die richtige Lagerung jeweils immer vor der OP kontrolliert wird.

Die Revision der Klägerin hatte, was den Punkt der Lagerung betraf, keinen Erfolg.

Denn:
Zwar kommen Beweiserleichterungen dann in Betracht, wenn die gebotene Dokumentation lückenhaft ist und aufgrund dessen sich der Sachverhalt zu Ungunsten des klagenden Patienten schlecht rekonstruieren lässt.

Hier war dies aber nicht der Fall. Die Ärzte hatten dokumentiert „Lagerung in Häschenstellung“. Die Lagerung ist für den Fachmann damit ausreichend dokumentiert. Die einzelnen medizinischen Regeln, wie die technische Durchführung einer bekannten Lagerung, sind nicht zu dokumentieren.
Auch die Routinemaßnahme, wie die Kontrolle der Lagerung während der OP, brauchen nicht zu dokumentiert werden.

Wichtig war, dass die Position als solche dokumentiert worden war. Hierzu gehören die technisch richtige Lagerung (hier: vom Pfleger in „Häschenstellung“) und die Beachtung der zum Schutz des Patienten vor etwaigen Lagerungsschäden einzuhaltenden ärztlichen Regeln (hier: Kontrolle der Lagerung vor der OP; wurde glaubhaft bezeugt).

BGH, Urteil vom 02.06.1987; VersR 1987, 1238

Sachverhalt:
Der ursprüngliche Kläger, der Ehemann der Klägerin, ist während des Rechtsstreites verstorben. Er wurde wegen Lähmungserscheinungen stationär aufgenommen. 7 Tage danach wurde er operiert. Eine operative Wundrevision folgte ca. 8 Tage danach. Der Ehemann blieb querschnittsgelähmt. Es entwickelten sich oberflächliche Decubitalgeschwüre an beiden Gesäßhälften. Über eine Decubitalprophylaxe und eine Decubitalbehandlung findet sich in den Krankenunterlagen kein Vermerk. Die Durchliegegeschwüre verschlimmerten sich in der Folge. Nach Konsultation der dermatologischen Abteilung besserte sich der Zustand jedoch bis zum Entlassungstag. Es fand eine Decubitalpflege und –behandlung statt. Dies wurde teilweise in den Krankenunterlegen auch vermerkt. Bei Entlassung litt der Ehemann noch an einem weitgehend abgeheilten Decubitusulcus am Steißbein, das mit einem Schaumstoffstück in der Größe eines Flaschenkorkens ausgefüllt war.
Die Klägerin macht Schmerzensgeld geltend.
Die Klage blieb erfolglos. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Denn:
Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt nicht genug aufgeklärt. Zu Unrecht wurden der Klägerin Beweiserleichterungen aufgrund fehlender Dokumentation versagt. Das Gericht ist fälschlicherweise ohne weiteres vom Parteivortrag des Beklagten ausgegangen, es hätten regelmäßige Umbettungen, Bäder, krankengymnastische Übungen sowie gewisse Polsterungen stattgefunden, ohne dass dies dokumentiert war.

Statt dessen hätte durchgeführt werden müssen:

zweimaliges tägliches Waschen und Einreiben mit Franzbranntwein sowie Auftragen von Desitim-Fettspray auf die gefährdeten Partien, Anlegen eines Dauerkatheters, Unterlegen von Schaumgummiringen und –kissen zur Entlastung der besonders gefährdeten Stellen, eine regelmäßige gründliche Körperpflege und eine zeitweise Lagerung auf Wasserkissen und ferner, falls eine spezielle Decubitusmatratze nicht zur Verfügung steht, regelmäßig mehrmals tägliche stundenweise Druckentlastung durch wechselnde Seitenlagerung des Patienten und Austrocknung der gefährdeten Gebiete.

Die Beklagten haben danach darzulegen, was veranlasst wurde, um eine erfolgreiche Decubitusprophylaxe durchzuführen, was das Pflegepersonal zu tun hatte und ob, wenn schon eine Lagerung auf einer Spezialmatratze oder einem Wasserbett bei diesem Patienten nicht möglich war, etwa wegen der erforderlichen Hochlagerung des Oberkörpers, andere Ausgleichsmaßnahmen zu treffen waren.

Zusätzlich ist darzulegen, wie von der Beklagten die erforderliche intensive Pflege des Patienten organisatorisch sichergestellt wurde, vor allem auch in den Zeiten, in denen Pflegepersonalmangel herrschte.

Es hätte in der Dokumentation, da der Patient Risikopatient war, festgehalten werden müssen, die ärztliche Diagnose und die ärztlichen Anordnungen hinsichtlich der Wahl der erforderlichen Pflegemaßnahmen.

Eine allgemeine schriftliche Anweisung im Krankenhaus, aus der die erforderlichen prophylaktischen Maßnahmen ersichtlich waren, kann genügen. (Anmerkung d. Verf.: Hier muß allerdings überzeugend dargelegt werden können, dass in jedem Risikofall automatisch dieser Anweisung Folge geleistet wird.)

Es muß organisatorisch sichergestellt sein, dass die Decubitusprophylaxe und –pflege ärztlich ausreichend überwacht wird, und die Durchführung der allgemein oder für den speziellen Fall angeordneten Maßnahmen musste in irgendeiner Weise schriftlich festgehalten werden.

BGH, Urteil vom 18.03.1986; NJW 86, 2365

Leitsatz:
1. Im Krankenblatt eines Krankenhauspatienten, bei dem die ernste Gefahr eines Decubitalgeschwüres besteht, sind sowohl die Gefahrenlage als auch die ärztlich angeordneten Vorbeugungsmaßnahmen zu dokumentieren.

2. Zu den Anforderungen an den Beweis für die Durchführung der notwendigen Prophylaxe, wenn entsprechende Krankenblatteintragungen fehlen.

Sachverhalt:
Die Klägerin wurde 65jährig mit vollständiger schlaffer Halbseitenlähmung nach Schlaganfall im Krankenhaus eingeliefert. Infolge ihrer Erkrankung lag sie nahezu bewegungslos und apathisch im Bett. Ca. einen Monat danach trat ein Durchliegegeschwür am Steißbein auf, das sich zu einem großen, tiefgreifenden Geschwür entwickelte und schließlich ungefähr die Größe einer Männerfaust erreichte. Der Zustand der Klägerin besserte sich später (nach ca. 2 – 3 Monaten ) wieder.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz. Das LG gab der Klage statt. Das OLG wies sie ab. Der BGH hob das OLG – Urteil auf und verwies zurück.

Denn:
Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin kommen dann in Betracht, wenn die gebotene ärztliche Dokumentation lückenhaft bzw. unzulänglich ist und deswegen für sie im Falle einer Schädigung die Aufklärung des Sachverhaltes unzumutbar erschwert wird.

Dasselbe hat zu gelten, wenn erforderliche Aufzeichnungen über Maßnahmen der Krankenpflege fehlen, die nicht die normale Grundpflege betreffen, sondern wegen eines aus dem Krankheitszustand des Patienten folgenden spezifischen Pflegebedürfnisses Gegenstand ärztlicher Beurteilung und Anordnung sind.

Von einer Dokumentation der angeordneten Pflegemaßnahmen hätte nur dann abgesehen werden dürfen, wenn im Krankenhaus der Beklagten eine allgemeine schriftliche Anweisung bestanden hätte, aus der deutlich hervorgeht, welche einzelnen prophylaktischen Maßnahmen in den Fällen des Decubitus – Risikos unbedingt durchzuführen sind.

In den Krankenunterlagen ist weder enthalten, dass eine erhebliche Decubitusgefahr bestanden hat, noch sind Aufzeichnungen enthalten, welche angeordneten und getroffenen Pflegemaßnahmen zur Vorbeugung und zur Behandlung des Durchliegegeschwüres durchgeführt wurden. Es fehlte sogar die Eintragung über dessen erste Wahrnehmung.

Die Unterlassung der erforderlichen Dokumentation ist ein Indiz dafür, dass im Krankenhaus der Beklagten die ernste Gefahr der Entstehung eines Durchliegegeschwürs nicht erkannt und die Durchführung vorbeugender Maßnahmen nicht in ausreichender Form angeordnet wurden und dass daher das Pflegepersonal nicht so intensiv auf die Prophylaxe geachtet hat.
Die Beklagte hat die indizielle Wirkung der fehlenden Krankenunterlagen zu entkräften.

OVG Lüneburg, Urteil vom 18.07.1996; NJW 97, 2468

Leitsatz:
Das Interesse eines Kindes an der Kenntnis der in der Todesbescheinigung genannten Erkrankung und Todesursachen des leiblichen Vaters, dessen gesundheitliche Konstitution es geerbt haben kann, stellt gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Verstorbenen kein höherrangiges Interesse dar.

Sachverhalt:
Der Vater der Klägerin verstarb. Der Arzt lehnte das Begehren der Klägerin, die Umstände, die zu dem Tod des Vaters geführt haben, mitzuteilen und eine Kopie des Totenscheines auszuhändigen, mit dem Hinweis auf die Schweigepflicht ab. In der Klagebegründung führte die Klägerin aus, sie habe als alleiniges Kind des Verstorbenen ein persönliches Interesse, die konkreten Umstände des Todes und der unmittelbaren Todesursache zu erfahren.
Die Klage blieb erfolglos.

Denn: 
Die Klägerin hat weder einen spezialgesetzlichen Anspruch auf Einsichtnahme noch folgt dieser aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Es ist weder ihr Recht aus Art. 2 I GG, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, noch das aus Art. 6 GG, dem gewährten Schutz der Vater-Kind-Beziehung, verletzt.

Zwar beinhaltet Art. 2 GG das Recht, sich umfassend über genetische Erbanlagen zu informieren. Dem steht aber vorliegend der Geheimnisschutz des Verstorbenen gegenüber. Geschützt wird hier auch vor Offenbarungen über Krankheiten. Dieser Schutz gilt über den Tod hinaus. Es liegt hier auch keine Einwilligung des Verstorbenen in die Offenbarung vor, noch ist von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen, da anderenfalls der Verstorbene wahrscheinlich seine Tochter schon früher von seinen konkreten Gebrechen unterrichtet hätte.
Danach ist kein Abwägungsfehler gegeben.

BGH, Urteil vom 31.05.1983; NJW 83, 2627

Leitsatz:
Zur Frage, inwieweit den Angehörigen bzw. Erben eines verstorbenen Patienten ein Recht auf Einsichtnahme in die Krankenpapiere zusteht.

Sachverhalt:
Die Klägerinnen sind die Witwe und die Töchter des Verstorbenen. Dieser war zuvor mehrere Male stationär in der chirurgischen Klinik der Beklagten gewesen und verstarb dort. Die Klägerinnen verlangten Einsicht in die Krankenunterlagen.
Der Verstorbene hatte wegen Schmerzen im Unterbauch die Klinik aufgesucht. Dort verabreichte man ihm aufgrund einer vermuteten Magenverstimmung eine schmerzstillende Injektion. Dies wurde dann im Hausbesuch wiederholt. Später wurde er dann jedoch aufgrund eines durchbrochenen Appendizitis erneut stationär eingewiesen und operiert. Die Bauchhöhle blieb auch nach Entlassung wegen der bestehenden Infektion (mehrere entzündliche Vorgänge) stets mit einem Ausgang versehen. Zahlreiche Operationen waren erforderlich. Dies blieb so, bis zu dem Ableben des Patienten.
Die Beklagte lehnte wiederholt die Übersendung der Behandlungsunterlagen zur Einsicht ab.
Der Klage wurde stattgegeben.

Denn:
Der Patient selbst hat jeder Zeit einen Anspruch auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen. Dieses Recht folgt als Nebenanspruch aus dem Behandlungsvertrag. Problematisch im vorliegenden Fall ist das Rechtsinstitut der ärztlichen Schweigepflicht, welches auch über den Tod hinaus gilt. Auch nahen Angehörigen kann die Einsichtnahme in die Krankenunterlagen verweigert werden. Die Schweigepflicht kann durch Entbindung seitens des Patienten gelöst werden.

Allerdings kann Angehörigen auch ein Recht auf Wahrung nachwirkender Persönlichkeitsbelange des Verstorbenen zustehen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass den Angehörigen ein Einsichtsrecht zukommt, gerade wenn es darum geht, einen für den Tod Verantwortlichen seiner gerechten Strafe zuzuführen. In Fällen, wie diesem, kann nicht ernstlich davon ausgegangen werden, dass der Verstorbene Geheimhaltewünsche gegenüber seinen Angehörigen hatte. Anhaltspunkte, dass der Verstorbene den eventuell schuldigen Arzt erkennbar schonen wollte, liegen ebenfalls nicht vor.